60 WRD/MIN ART CRITIC // KASSEL // 207 // dOCUMENTA (13)
Lori Waxman 8/22/12 3:10 PM
Wolfgang Kowar macht aus Platten gefundener Werbeplakate Kunst. Manchmal sind die dabei übereinander geklebten Schichten einige Zentimeter dick. Mit einer solchen Décollage befindet er sich in guter Gesellschaft, denn dies steht in der Traditionslinie der Affichisten wie Jacques de la Villeglé und Raymond Hains. Doch wie jeder Nachfahre von Interesse imitiert auch er die Älteren nicht, sondern eignet sich deren künstlerische DNA an und fügt dieser etwas von seiner eigenen Kodierung hinzu.
Während die Affichisten die Plakate einfach von den Pariser Wänden abrissen und so wie sie waren benutzten, schneidet Kowar und verändert, begeht
nicht den Fehler, die Radikalität roher, einfach vorgefundener Kunst, so wie sie in den 60er Jahren praktiziert wurde, immer noch den Stellenwert einzuräumen, den sie damals besaß. Im Gegensatz dazu erhält Kowar sein Material direkt von der Firma, die damit beauftragt ist, die Litfasssäulen in Hannover zu säubern. Anschließend schneidet er die gebogenen Blöcke auf die gewünschte Größe zurecht und beginnt mit der bildhauerischen Arbeit, indem er die verschiedenen Maserungen und Schichten freilegt, so als ob er es mit Holz oder Stein zu tun hätte und nicht mit dicht gepresstem, kommerziellen Abfällen. Die so entstehenden Reliefs sind doppelseitig und fesselnd, sie zeigen Worte und Farben, Muster und Formen, die eine genuine Archäologie unserer urbanen und
kapitalistischen Zeiten sichtbar machen.